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«Weil wir die Natur nicht gemacht haben, ist sie für uns eine Offenbarung, ein unerschöpfliches Wunder. […] Der Mensch hat sich eine unwiderlegbare Entschuldigung für die Zerstörung der Natur gegeben: Hunger. Wenn jedoch eine Wirtschaft wie die unsere Bedürfnisse schafft, Plünderungen organisiert und der Druck auf die Natur in keiner Weise nachlässt, kann man sich fragen, ob es nicht andere, vielleicht tiefere Gründe gibt.»  
(Robert Hainard, Expansion et nature, meine Übersetzung)

Unser Heil liegt in der Natur

«Wir müssen die Photovoltaik-Paneele in den Bergen installieren, weit weg von allem, wo niemand sie sieht.» Es wäre für meinen Gesprächspartner schwierig gewesen, das Gegenteil von dem, was ich denke, genauer auszudrücken. Denn in den Bergen, weit weg von allem, ist der letzte Ort, an dem ich Photovoltaik-Paneele installiert oder irgendetwas gebaut hätte. Nicht nur, weil der produzierte Strom dann zum Verbraucher transportiert werden muss, sondern vor allem, um die wilde Natur zu schützen.

Warum die Natur schützen? Aus Liebe zu dieser wilden Natur, die der Mensch nicht geschaffen hat, sondern aus der wir im Gegenteil hervorgehen. Ja natürlich! Aber darüber werde ich hier nicht viel sprechen. Denn man liebt sie oder man liebt sie nicht: es gibt nicht viel darüber zu sagen. Ich werde mich auf einen anderen Punkt konzentrieren: den Schutz der Natur, um den grösstmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. Das mag paradox erscheinen. Um das Maximum aus der Natur herauszuholen, wäre es da nicht besser, sie so weit wie möglich auszubeuten? Aber so wie derjenige, der zu sehr versucht einzuschlafen, wach bleiben wird, ist das Ausbeuten der Natur nicht der beste Weg, um ihren Nutzen zu geniessen. Denn indem man die Natur ausbeutet, denaturiert man sie. Und man zerstört das Wesentliche dessen, was sie uns bringen kann. Ein Wasserfall kann uns mehr bringen als den Strom, den er erzeugen würde, wenn er in Rohre gepackt wird, um eine Turbine anzutreiben. Die Schönheit dieses Wasserfalls natürlich. Ein Spielplatz für einige. Aber über die Schönheit und das Spiel hinaus: die Natur in uns durch den Kontakt mit der Natur ausserhalb von uns wiederzubeleben, wie eine erkaltete Glut, die wieder rot wird, wenn man sie dem Feuer nähert.
 

Jeder Spaziergang in der Natur ist ein Abenteuer. Barfuss im Wald neben meinem Haus zu gehen ist exotischer als eine Stadt am anderen Ende der Welt zu besuchen. Dieser Wald ist deutlich weiter entfernt, wenn man die Entfernungen nicht in Metern, sondern in der Differenz der Erfahrungen misst, die man dort macht. Sonnenstrahlen schlängeln sich durch das Laub, das mich umgibt. Die Luft ist erfüllt vom Geruch des Harzes. Ich fühle die Feuchtigkeit und Kühle der Erde unter meinen Füssen. Jeder Schritt, jeder Atemzug bringt mich der Natur näher. Hier ist das wahre Leben.

Doch dieser Wald ist nicht unberührt. Der Holzfäller kommt vorbei. Glücklicherweise fällt er hier und da einen Baum, anstatt Kahlschläge zu machen, wo man dann Bäume in perfekt ausgerichteten Reihen pflanzt. Mit etwas Pech konkurriert das Geräusch des Rasenmähers im benachbarten Weinberg mit dem Gesang der Vögel. Dieser Wald ist nicht perfekt wild, aber er ist unvergleichlich natürlicher als das Chalet, in dem ich lebe, das wiederum natürlicher ist als die grossen Gebäude, in denen ich zuvor gewohnt habe. In diesen Zeiten kann ich es mir nicht leisten, diesen Wald zu verschmähen, sondern muss seine Lebensessenz so lange ziehen, wie es diejenigen zulassen, die seinen Wert an der Anzahl der Kubikmeter Holz messen, die er produzieren kann.

 

Es ist umso einfacher, mit der Natur in Kontakt zu treten, je wilder sie ist. Ich kann sicherlich nicht die geringste Primel verschmähen. Aber ich strebe nach einer Natur, die so wild wie möglich ist. In der Schweiz bedeutet das, sich auf den Weg in die Berge zu machen. Es geht nicht nur darum, den Berg zu besteigen, sondern auch darum, seine eigene Seele zu erheben. Ich tauche in die Natur ein, um das Wesen des Lebens wiederzufinden. Zuerst denke ich an meine täglichen Angelegenheiten. Aber mit zunehmendem Abstand sehe ich immer klarer. Die körperliche Anstrengung und meine auf Kontemplation ausgerichteten Sinne lösen allmählich meine Gedanken auf. Nicht dass der innere Dialog völlig verstummt, aber er wird immer sporadischer und irrelevanter. Je höher ich steige, desto weniger Gesellschaft schlepp ich mit mir herum und vergesse fast die Sprache selbst. Wer in die Natur geht, muss für alles bereit sein und nichts erwarten. Vielleicht wird er heute auf einer Wolke den Schatten seines eigenen Kopfes mit einem Heiligenschein sehen. Aber das Wesentliche liegt woanders: eine innere Neuausrichtung in Harmonie mit der Natur.

Mose erhielt die Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai. Wenn Jesus 40 Tage in der Wüste verbrachte, war es anscheinend nicht zum Tourismus. David Thoreau lebte in einer abgelegenen Hütte am Ufer des Walden-Sees, bevor er seine schönsten Bücher schrieb. John Muir durchquerte Yosemite, bevor er es schützte. Weisheit kommt aus der Natur. Wir allein sind dumm genug, es zu ignorieren.

 

Ich beabsichtige keineswegs, unser gesellschaftliches Leben herabzusetzen. Aber dieses ist oft ein Wahnsinn, das nur deshalb nicht auffällt, weil es kollektiv ist. Immer mehr konsumieren. Und wann man feststellt, dass dies nicht glücklich macht, daraus schliessen, dass wir noch mehr konsumieren sollen. Und natürlich die Produktionsgesellschaft, die die andere Seite dieser Konsumgesellschaft ist. Eine übertriebene Bedeutung wird dem beigemessen, was wir produzieren. Gleichgültigkeit, Verachtung oder sogar versteckter Hass gegenüber dieser wilden Natur, die wir nicht geschaffen haben. Wir sind in einem Mechanismus gefangen, in dem das Wirtschaftswachstum zum Selbstzweck geworden ist, zum Nachteil sowohl unseres Wohlbefindens als auch der Natur.

 

Dieser Prozess besteht jedoch nicht nur darin, das Wachstum des BIP zu erhalten. Der Fortschritt folgt seiner eigenen Logik, die uns entgeht. Man glaubt, neue Technologien zu erfinden, wenn eine Erfindung andere hervorbringt, die wir nicht verhindern könnten: Würde ein Land sie verbieten, würden sie in einem anderen erscheinen. Das Individuum wie die Natur werden zu Rädchen in einer globalen Maschine. Oder genauer gesagt zu dem Material, das ein planetarischer Superorganismus ernährt, der gerade entsteht. Das Individuum und die Natur werden beide unterjocht. Ein wurzelloses Individuum ist leichter zu unterjochen und ein unterjochtes Individuum wird eher der Unterjochung der Natur zustimmen. Wer immer in Schuhen geht, muss nur ein paar Schritte barfuss auf einem Wanderweg gehen, um festzustellen, wie sehr die Zivilisation ihn behindert und seine Autonomie eingeschränkt hat. Man weiss nicht, was mehr zu befürchten ist. Der Erfolg dieses Superorganismus, der immer mehr Individuen und die Natur unterjocht? Oder sein Zusammenbruch, der uns mitreissen würde? Es sei denn, wir werden einfach überflüssig, wenn die Intelligenz, mit der wir prahlen, von der künzlichen Intelligenz übertroffen wird. Verloren in immer ausgefeilteren virtuellen Welten müssen wir uns mit der Realität verbinden, um uns zu befreien. Und dafür gibt es nichts Besseres als einen Spaziergang in der Natur. Es gab eine Zeit, in der Menschen sich vor der Natur schützen mussten. Heute hingegen ist die grösste Bedrohung das, was aus dem hervorgegangen ist, was Menschen geschaffen haben, um sich vor der Natur zu schützen.

 

Umweltschützer zielen derzeit in erster Linie darauf ab, Katastrophen wie den Klimawandel zu vermeiden. Diese aus Angst statt aus Liebe motivierte Haltung kann dazu führen, die Natur zu schützen, aus Furcht, sie könnte sich rächen. Doch diese Angst kann ebenso gut zur Zerstörung der Natur anregen. Einige behaupten, die Natur müsse im Kampf gegen den Klimawandel geopfert werden. Als ob die einzige Möglichkeit, die Natur zu retten, darin bestünde, sie zu zerstören. Wenn Schäden an der Natur weitere Schäden rechtfertigen, konvergiert dieser Prozess auf das Verschwinden der Natur. Man sagt uns, Solarparks sollen mitten in der Natur gebaut werden. Wir sollten uns ein Beispiel an unseren Vorfahren nehmen, die Dämme gebaut haben. Dabei wird vergessen, dass man Photovoltaikmodule auf Gebäuden und Infrastrukturen installieren kann, während man keinen Damm auf seinem Dach bauen kann. Vor allem wird es noch dringlicher, die Natur zu schützen, wenn sie seltener wird. Wenn wir der Aufforderung folgen, unsere Vorfahren nachzuahmen, steht ausser Zweifel, dass zukünftige Generationen gebeten werden, uns nachzueifern. Auch dies konvergiert auf das Verschwinden der Natur.

 

Die Genehmigung von Solarparks in den Bergen wird erleichtert und sie werden massiv subventioniert, während ein grosser Teil des Stroms verschwendet wird und ein bedeutendes Winterpotenzial für die Photovoltaikproduktion besteht (insbesondere in den Alpen ausserhalb des Winternebels, zum Beispiel in Sion). Sicherlich kann man keine Omeletts machen, ohne Eier zu zerschlagen. Aber wenn ein grosser Teil des Omeletts weggeworfen wird, kann man sich fragen, ob es nur Nachlässigkeit ist oder ob das Omelett nur ein Vorwand war, um Eier zu zerschlagen. Zumal man andere Eier hätte nehmen können (Photovoltaik auf Gebäuden und Infrastrukturen). Die Natur zu verschandeln, um Strom zu produzieren, der grösstenteils verschwendet wird und anders hätte produziert werden können, legt nahe, dass die Stromproduktion auch oder sogar vor allem ein Vorwand ist, um die Natur zu zerstören. Dies zeigt nicht nur Gleichgültigkeit gegenüber der Natur: Es ist ein Kreuzzug gegen die Natur.

 

Wenn sie nicht in den Produktionsprozess einbezogen wird, ist die Natur für die Anhänger des BIP eine Verschwendung: skandalös wie ein Wasserfall. Aber die Natur sich selbst zu überlassen und nicht einzugreifen, um sie zu verbessern – das heisst die Natur zu konservieren – ist auch für Progressive ein Skandal. Dies blieb lange unbemerkt, weil man, um die Natur gegen eine Gesellschaft, die sie zerstört, zu bewahren, diese Gesellschaft ändern muss. Aber wenn der Naturschutz nur ein Vorwand ist, um die Gesellschaft zu ändern, dann wird er aufgegeben, sobald ein effektiverer Vorwand gefunden wird. Das ist wahrscheinlich passiert, als die Progressiven erkannten, dass der Kampf gegen den Klimawandel ein effektiveres Instrument zur Veränderung der Gesellschaft ist und besser zu ihrer Ideologie passt als der Naturschutz (da er menschliche Eingriffe rechtfertigt). Während die Progressiven den Naturschutz aufgeben, kommen die Konservativen ihm nicht zu Hilfe, denn sie sind mehr daran interessiert, diese zerstörerische Gesellschaft zu erhalten als die Natur.

 

Je mehr die Natur denaturiert wird, desto schwerer fällt es den Menschen, ihr vitale Wesen zu erfassen und desto weniger motiviert sind sie, sie zu schützen. Es ist ein virtuoser Kreis aus der Sicht jener Kraft, die sowohl die Natur als auch die Individuen unterjocht. Eine monströse Dynamik, die ihrer eigenen Logik folgt, seit sie entstanden ist.

 

Wer bleibt übrig, um die Natur zu verteidigen? Viel weniger Menschen als man denken könnte. Aber es gibt ein bedeutendes Potenzial für neue Verteidiger: diejenigen, die entdecken, dass der Schutz der Natur und der Schutz der eigenen Freiheit Teil desselben Kampfes gegen eine Kraft ist, die beide unterjocht. Der reale Kontakt mit der Natur ist der ideale Weg, um den virtuellen Illusionen zu entkommen, die von der Gesellschaft erzeugt werden. Und das erklärt auch den Hass, den einige auf die Natur haben: Sie bringt Rebellen hervor.

Pierre-Alain Bruchez

Übersetzung aus dem Französischen von Copilot, mit einigen seltenen Änderungen von mir.

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